Wenn über Digitalisierung aus verbraucherpolitischer Perspektive gesprochen wird, dann geht es meistens um Gefahren. Digitale Technologien können aber auch Verbraucherinteressen befördern. Bislang ist dieses Potential ein blinder Fleck – Otmar Lell vom ConPolicy-Institut zeigt, wie das geändert werden kann.

Digitale Technologien im Einsatz für Verbraucher:innen

Digitalisierung bietet Verbraucher:innen vielfältigen Zusatznutzen etwa in Gestalt von neuartigen Dienstleistungen, Kosteneinsparungen, Effizienzsteigerungen, Zeitersparnis und individualisierten Angeboten. Unternehmen treiben Digitalisierung voran, weil sich diese Zusatznutzen kommerziell verwerten lassen. Genauso gut kann Digitalisierung aber auch eingesetzt werden, um verbraucherpolitische Zielsetzungen zu befördern, die von Unternehmen ansonsten regelmäßig vernachlässigt werden, etwa um Verbraucher:innen umfangreich zu informieren, ihre Rechte durchzusetzen und ihre Präferenzen beim Datenschutz zu prüfen.

„Verbraucherschutztechnologie“, also der Einsatz, von digitalen Technologien für Verbraucherschutz und Verbraucherbefähigung entspricht den Zielsetzungen verschiedener digitalpolitischer Strategien der Bundesregierung. Laut ihrer KI-Strategie fördert die Bundesregierung insbesondere „die Entwicklung von innovativen Anwendungen, die die Selbstbestimmung, die soziale und kulturelle Teilhabe sowie den Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger unterstützen“. Auch die Hightech-Strategie der Bundesregierung betont, dass Digitalisierung von den Bedürfnissen und Interessen der Menschen aus gedacht werden müsse. Wenn es konkret wird, steckt die Diskussion über die Nutzung von digitalen Technologien zu verbraucherpolitischen Zielsetzungen aber noch in den Kinderschuhen.

Aus diesem Grund hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) zwischen Ende 2019 und Februar 2021 unter anderem das Forschungsvorhaben ConProTec_ted vom ConPolicy-Institut für Verbraucherpolitik und dem Fraunhofer-Verbunds IUK-Technologie gefördert. In diversen Dialogveranstaltungen wurde das Lösungspotenzial digitaler Technologien aus Verbraucherforschungsperspektive analysiert und die umfassenden Ergebnisse nun in den breiten politischen und wissenschaftlichen Diskurs getragen.

Wie relevant ist Verbraucherschutztechnologie heute?

Auf den Märkten gibt es durchaus heute schon digitale Anwendungen für Verbraucherschutz und Verbraucherbefähigung. Es gibt etwa Anwendungen, die ein bislang vernachlässigtes Verbraucherinteresse zum Inhalt eines Geschäftsmodells machen – am deutlichsten sichtbar bei den verschiedenen LegalTech-Abtretungsmodellen, die brachliegende Forderungen von Verbraucher:innen gegen Unternehmen eintreiben (z.B. FlightRight, Compensation2Go oder die Flugärger-App). Es gibt auch Apps, mit denen Verbraucher:innen Informationen über Produkte und Dienstleistungen erhalten können, die Anbieter sonst nicht zur Verfügung stellen (z.B. Barcoo, ToxFox oder CodeCheck), oder digitale Tools, um die eigenen Vorstellungen von Datenschutz und Datensicherheit zu verwirklichen (z.B. PrivacyScore, itsmydata oder DatenschutzScanner). Allerdings sind viele dieser Anwendungen derzeit kaum jemanden bekannt, und manches, was in dieser Richtung erforscht wird, wird gar nicht erst zu marktreifen Anwendungen fortentwickelt.

Quelle: ConPolicy GmbH – Institut für Verbraucherpolitik

Potential für Verbraucherschutz und Verbraucherbefähigung besser nutzen

Das verbraucherpolitische Potential von digitalen Technologien zu erschließen, ist eine Gestaltungsaufgabe, die Unternehmen, Verbraucherschutzakteure und Politik gemeinsam betrifft. Unser Forschungsvorhaben hat ergeben, dass insbesondere die folgenden fünf Aspekte von großer Relevanz dafür sind:

Verbraucherpolitische Ziele für die Gestaltung digitaler Märkte etablieren: Bislang setzt sich die Verbraucherpolitik vornehmlich dafür ein, Gefahren und Risiken infolge der Digitalisierung zu minimieren. So wichtig das ist: Damit digitale Technologien in positivem Sinne Verbraucherinteressen befördern, braucht die Verbraucherpolitik auch ein Leitbild von einer verbraucherorientierten Digitalisierung. Es geht sicher auch in Zukunft darum, „addictive design“ und „dark patterns“, also suchterzeugendes und manipulatives Design von digitalen Anwendungen zu verhindern. Darüber hinaus sollte die Verbraucherpolitik aber auch „humane design“ verwirklichen, also ein Design von digitalen Anwendungen, das am Wohl des Menschen orientiert ist.

Verbraucherorientiertes Marktdesign umsetzen: Um das Ziel einer verbraucherorientierten Digitalisierung zu verwirklichen, ist ein breiter Instrumentenkasten politischer Maßnahmen erforderlich. Vorstellbar sind etwa ein Verbraucherschutz „by design“, bei dem Standards entsprechend der Weiterentwicklung technischer Möglichkeiten kontinuierlich erhöht werden. Ein Vorbild hierfür gibt es im Umweltrecht mit der Stand-der-Technik-Regulierung für schadstoffemittierende Anlagen. Weiter sollte eine „Vertrauensinfrastruktur“ auf digitalen Märkten geschaffen werden, damit Verbraucher:innen erkennen können, inwieweit ihre Interessen auf digitalen Märkten gewahrt werden. Zu diesem Zweck sollte gesichert werden, dass Marktsignale wie insbesondere Kundenbewertungen richtig und verlässlich sind. Außerdem sollten besonders verbraucherorientierte digitale Angebote auf den Märkten erkennbar sein.

Verbraucherrechte digital durchsetzen: Behörden und Verbraucherorganisationen, die im Bereich der Durchsetzung des Verbraucherrechts tätig sind, werden zusehends darauf angewiesen sein, im Rahmen der Gesetzesdurchsetzung selbst Technologie einzusetzen – etwa um zu verstehen, was ein Algorithmus überhaupt tut, bevor entschieden werden kann, ob der Algorithmus in unzulässiger Weise diskriminiert. Insofern sind technologische Kompetenz und die Verfügbarkeit technologischer Werkzeuge im Bereich der Rechtsdurchsetzung wichtig.

Für bedarfsgerechte Angebote von Verbraucherschutzakteuren sorgen: Verbraucherschutzorganisationen werden von Verbraucher:innen zwar als unabhängige Vertreter ihrer Interessen wertgeschätzt. Ihre digitalen Angebote werden aber praktisch wenig genutzt. Um den Kontakt zu den Verbraucher:innen zu halten, ist es daher unverzichtbar, dass Verbraucherorganisationen mit der Digitalisierung Schritt halten und digitale Angebote entwickeln, die den Bedarf treffen. Hierfür sollten etablierte Methoden zur Bedarfs- und Nutzerorientierung bei der Entwicklung von digitalen Angeboten systematisch zum Einsatz kommen („user-centered design“). Die digitalen Kompetenzen der Verbraucherorganisationen sollten gefördert werden, und digitale Angebote sollten bundesweit einheitlich entwickelt werden.

Digitalen Innovationsprozess Verbraucherschutz initiieren: Um die gesellschaftlichen Problemlösungskompetenzen zu aktivieren, sollte für den Verbraucherschutz ein digitaler Innovationsprozess unter der Schirmherrschaft des BMJV initiiert werden. Erfolgreiche Praxisbeispiele wie der Hackathon WirVsVirus und die Civic Innovation Platform des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zeigen den Mehrwert dieses Ansatzes für eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung. Einen ersten Auftakt für eine kollektive Ideenentwicklung auch zu Fragen des digitalen Verbraucherschutzes stellt das Zukunftslabor „Update Deutschland“ dar, in dem im Laufe dieses Jahres Lösungen für eine breite Skala von Zukunftsfragen entwickelt werden.


Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens sind hier abzurufen.