Der zweite Megatrend-Report der Bertelsmann Stiftung skizziert zentrale mittel- bis langfristige Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Digitalisierung und Globalisierung – und beleuchtet mögliche Folgen für unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem

Wir stecken mitten in der Corona-Pandemie und es wird voraussichtlich Jahre dauern, bis alle ihre ökonomischen und sozialen Schäden einigermaßen behoben sind. Dieses einschneidende Ereignis wird unsere Gesellschaft zweifellos langfristig verändern. Während sich die Globalisierung und internationale Arbeitsteilung abbremsen dürften, beschleunigt sich umgekehrt die Digitalisierung.

Corona-Pandemie als Treiber der Digitalisierung

Die Corona-Pandemie ist für viele Unternehmen ein zusätzlicher Anreiz, verstärkt digitale Technologien einzusetzen. So verspricht man sich, die eigene Krisenanfälligkeit im Fall erneuter pandemiebedingter Einschränkungen zu verringern und Nachfragerückgängen durch das Ausweichen auf den Online-Handel entgegenzuwirken. Digitale Lösungen können zudem krisenbedingt drohende Ausfälle von Arbeitskräften mindestens teilweise kompensieren – etwa durch das Arbeiten im Homeoffice.

Nicht zuletzt dürften produzierende Unternehmen verstärkt Maschinen, Roboter und andere digitale Technologien einsetzen. Eine solche Automatisierung ersetzt menschliche Arbeitskräfte und reduziert damit die Abhängigkeit von ihnen. Dieser Trend war bereits vor Corona in vollem Gange, weil digitale Technologien zu erheblichen Produktivitätsfortschritten und damit Kostensenkungen führen. Die Aussicht, diese Technologien zur Steigerung der Krisenresilienz in der Produktion einzusetzen, wirkt nun zumindest in einigen Branchen als starker Automatisierungstreiber.

Digitale Spaltung als Gefahr für soziale Spannungen

Diese Entwicklungen bergen die Gefahr neuer sozialer Spannungen: Die digitale Spaltung der Unternehmen, die immer auch die dort beschäftigten Menschen betrifft, wird größer. Denn erstens sind zahlreiche Formen des sogenannten sozialen Konsums – etwa beim Tourismus – weder digital vermarktbar noch konsumierbar. Unternehmen und Beschäftigten solcher Branchen drohen somit besonders starke Einkommenseinbußen – zumal ein Nachholen des epidemiebedingten Konsumverzichts hier unwahrscheinlich ist. Nur wenige Menschen werden kommendes Jahr doppelt so oft in Konzerte gehen oder in Urlaub fahren.

Zweitens sind auch die Möglichkeiten, berufliche Tätigkeiten in der eigenen Wohnung auszuüben, in der Gesellschaft ungleich verteilt. Vor allem im Bereich der personennahen Dienstleistungen – etwa der Friseurarbeit sowie großen Teilen des Gesundheits- und Pflegebereichs – ist diese Form der Arbeit nicht möglich.

Und drittens ist neben diesen produkt- bzw. tätigkeitsbedingten Unterschieden auch die divergierende Investitionskraft der Unternehmen zu berücksichtigen: Wer bereits digitale Technologien einsetzt und deshalb einigermaßen gut durch die Wirtschaftskrise kommt, kann diesen Vorteil durch weitere Investitionen in Roboter, Maschinen und Software ausbauen. Wer hingegen mit einem geringen Digitalisierungsgrad in die Corona-Krise geschlittert ist, dürfte geschwächt aus ihr hervorgehen.

Digitale Souveränität als europäische Herausforderung

Auch auf internationaler Ebene wachsen aktuell die Spannungen. Der sich im Zuge der Corona-Krise intensivierende Hegemonialkonflikt zwischen China und den USA sorgt für einen zunehmenden Innovationswettbewerb zwischen diesen beiden Staaten. Vermehrt bilden sich technologische Einflusssphären heraus, in denen entweder chinesische oder amerikanische Standards gelten und die technologischen Entwicklungen aus einem dieser Länder dominieren.

Dies verdeutlicht, wie schnell Staaten von ausländischen Innovationen abgeschnitten werden können und wie wertvoll eigene Innovationsfähigkeit im Krisenfall ist. Auch und gerade für Europa ist deshalb „digitale Souveränität“ ein wichtiges Zielbild. Ein digital souveränes Europa kann seine Sozial-, Wirtschafts- und Regulierungspolitik für den digitalen Raum jederzeit so gestalten, dass sie seinen Werten und normativen Zielvorstellungen entspricht und diese befördert. Die Kernherausforderung für die digitale Souveränität Europas ist dementsprechend, seine Abhängigkeit von Dritten im Bereich digitaler Technologien und Geschäftsmodelle zu vermindern.

Angesichts der coronabedingt beschleunigten Digitalisierung ist die Frage der digitalen Souveränität relevanter denn je. Europa sollte die Pandemie als Weckruf begreifen und den digitalen Wandel gleichermaßen aktiv wie wertebasiert und zielgerichtet vorantreiben, um kritische Abhängigkeiten von Dritten zu reduzieren. Aus einer solchen „smarten Resilienz“ kann mittel- bis langfristig eine Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und in diesem Zuge auch der sozialen Teilhabechancen aller Europäer:innen erwachsen.

Der Megatrend-Report „Die Corona-Transformation“ ist die zweite Ausgabe einer Publikationsreihe der Bertelsmann Stiftung, die die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten der drei Megatrends Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel analysiert. 2019 erschien bereitsThe Bigger Picture – Wie Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel uns herausfordern. Mehr über die Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung zu den drei Megatrends Globalisierung, demografischer Wandel und Digitalisierung erfahren Sie hier.