Wie können wir mit maschinellem Lernen „stille“ Erdbeben frühzeitig vorhersagen? Und können smarte Assistenten Menschen mit Sehbehinderung unterstützen? Welche Strategien entwickeln afrikanische KI-Forscher:innen, um es mit dem Silicon Valley aufzunehmen? Mit den fünf Impulsen der Woche zeigen wir auf, welche große und kleine gesellschaftliche Herausforderungen mit algorithmischen Helfern gelöst werden können!

Die Meinungen in den Beiträgen spiegeln nicht zwangsläufig die Positionen der Bertelsmann Stiftung wider. Wir hoffen jedoch, dass sie zum Nachdenken anregen und zum Diskurs beitragen. Wir freuen uns stets sehr über Vorschläge für Erlesenes von unseren Leser:innen. Wer einen spannenden Text gefunden hat, kann uns diesen gerne per E-Mail an lajla.fetic@bertelsmann-stiftung.de zukommen lassen.


🔖Wie Afrikas KI-Forschung sich vor einer „Kolonialisierung” schützen will

(Africa Is Building an A.I. Industry That Doesn’t Look Like Silicon Valley), 25. September 2019, OneZero

Afrikanische Perspektiven und Forschung fanden bislang im internationalen Diskurs zu Künstlicher Intelligenz (KI) zu wenig Gehör. Teilweise liegt dies an den praktischen Schwierigkeiten für KI-Expert:innen aus Afrika, an den meist in Europa, Nordamerika oder Asien stattfindenden Branchenkonferenzen teilzunehmen (siehe Erlesenes #48). Doch mittlerweile bewege sich etwas und mitverantwortlich dafür sei die Konferenz „Deep Learning Indaba“ (kurz Indaba), die dieses Jahr zum dritten Mal in Kenias Hauptstadt Nairobi stattfand. Dave Gershgorn, Reporter beim Onlinemagazin OneZero, schildert, wie sich die Veranstaltung in nur zwei Jahren zu einem Dreh- und Angelpunkt für Afrikas KI-Sektor entwickelt hat und wie die Macher:innen einen komplizierten Balanceakt vollziehen: Einerseits seien sie auf die Unterstützung internationaler Technologiekonzerne angewiesen, andererseits wollten sie eine „Kolonialisierung” des Forschungsfeldes verhindern. Ziel sei es, KI nach den regionalen Bedürfnissen zu schaffen, nicht nach denen des Silicon Valley oder Chinas.


🔖Erdbebenvorhersage: Maschinelles Lernen weckt bei Seismolog:innen neue Hoffnung

 (Artificial Intelligence Takes On Earthquake Prediction), 19. September 2019, Quanta Magazine

Seit Jahrzehnten beißen sich Forscher:innen die Zähne an der genauen und rechtzeitigen Vorhersage von Erdbeben aus. Bislang war dies von wenig Erfolg gekrönt, berichtet der Wissenschaftsjournalist Ashley Smart bei Quanta Magazine. Doch maschinelles Lernen wecke bei Seismolog:innen neue Hoffnung. Unter anderem sei es Forscher:innen gelungen, mithilfe von lernfähigen Algorithmen sogenannte „stille“ Erdbeben relativ akkurat vorherzusagen. Diese werden von Menschen in der Regel gar nicht wahrgenommen, geschehen aber häufiger als Starkbeben und liefern wichtiges Datenmaterial über Spannungen im Boden. Erstmals überhaupt mache das Forschungsfeld nennenswerte Fortschritte, zitiert Smart den Seismologen Maarten de Hoop. Zu viel Optimismus sei aber nicht angeraten: Nach aktuellem Wissenstand gebe es bei verheerenden Starkbeben immer auch eine Zufallskomponente. Es existiere keine Garantie, dass sich Beben je so genau prognostizieren lassen werden wie andere Naturkatastrophen.


🔖Der feine Unterschied

(Stop asking AI researchers to build products, please), 14. August 2019, Noteworthy

Zwischen den Zielen und Arbeitsweisen von Forscher:innen und Ingenieur:innen im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI) gebe es grundsätzlich große und begründete Unterschiede. Doch der Druck von Investoren und Konzernen, KI so schnell wie möglich in mit hohen Profithoffnungen ausgestattete Produkte und Dienstleistungen zu integrieren, verwässere die Abgrenzung – mit negativen Konsequenzen –, argumentiert der KI-Wissenschaftler und Unternehmer Mehdi Merai. Kritisch sieht er unter anderem die konkreten zeitlichen Erwartungen an das Erreichen bestimmter Forschungsmeilensteine seitens der Wirtschaft. Wann ein bestimmter Durchbruch erreicht wird, sei oft nicht prognostizierbar. Auch seien Wissenschaftler:innen selten für die komplexen Probleme von marktwirtschaftlichen Organisationen trainiert. Ihre Rolle laufe darauf hinaus, die bestmöglichen Verfahren zur Lösung bestimmter Aufgabenstellungen zu finden, und das im engen Austausch mit Kolleg:innen aus anderen Institutionen. Ein Produkt mit größtmöglicher Attraktivität für Konsument:innen zu entwickeln, sei etwas ganz anderes, so Merai.


🔖KI-Sprachassistenten können Menschen mit Sehbehinderungen das Leben leichter machen

(Amazon’s Echo Show can now identify household pantry items held in front of its camera), 23. September 2019, TechCrunch

Sprachassistenten könnten Menschen mit Sehbehinderungen das Leben leichter machen, meint Sarah Perez, Reporterin beim Onlinemagazin TechCrunch. Sie berichtet über ein neues, in den USA eingeführtes „Echo”-Modell von Amazon. Dem mit einer Kamera ausgestatteten Modell können Nutzer:innen Fragen dazu stellen, was für einen Gegenstand oder ein Produkt sie gerade in der Hand halten oder vor sich haben. Dank des Einsatzes von Algorithmen zur Objekterkennung sowie des maschinellen Lernens eigne sich der Ansatz zum Beispiel, um verschiedene Objekte im Haushalt oder Produkte eines gerade gelieferten Einkaufs zu identifizieren. Laut Perez ist das Verfahren, das in Zusammenarbeit mit sehbehinderten Mitarbeiter:innen entwickelt wurde, nur eines von vielen möglichen Einsatzszenarien, in denen smarte Assistenten Verbesserungen für Personen mit Behinderungen bieten können.


🔖 Kunsthistoriker:innen nutzen KI, um zu analysieren, von wem sich Maler:innen inspirieren ließen

(Machine vision can spot unknown links between classic artworks), 31. Juli 2019, Emerging Technology from the arXiv

Wie beeinflussten existierende Werke die Kunst renommierter Maler:innen der Vergangenheit? Kunsthistorik:innen haben ein neues Werkzeug in ihrem Repertoire, um dieser für sie faszinierenden Frage nachzugehen: Algorithmen, die die Körperhaltungen von auf Gemälden dargestellten Personen analysieren und Parallelen zu anderen Werken aufspüren können. Dieser Beitrag im „Physics arXiv“-Blog erläutert, wie eine von Tomas Jenicek und Ondrej Chum von der TU Prag entwickelte Künstliche Intelligenz (KI) 37.000 historische Gemälde durchsucht und anhand von Ähnlichkeiten bei gezeichneten Posen Hinweise auf eventuell vorliegende künstlerische Inspiration gibt. Demnach sei die Analyse von Körperhaltungen für eine KI deutlich schwieriger als der Blick auf die generelle Komposition von Gemälden, weshalb Fortschritte hier länger gebraucht hätten. Umso größer sei das Potenzial, um besser verstehen zu können, welche Maler:innen sich von wem haben beeinflussen lassen.


Das war‘s für diese Woche. Sollten Sie Feedback, Themenhinweise oder Verbesserungsvorschläge haben, mailen Sie uns gerne: lajla.fetic@bertelsmann-stiftung.de 

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