Die Technik des selbstfahrenden Autos schreitet rapide voran. Doch die größte Herausforderung ist der Mensch.

Die Branchenmesse CES zeigte im Januar 2019 die kombinierte Begeisterung der IT- und Auto-Branche für das autonome Auto. Von Ubers Prototypen für ein autonomes Flugtaxi über Boschs neuen fahrerlosen Shuttle bis hin zu Audis neuem Entertainment-System für die künftig beschäftigungslose/n Fahrer:innen – die Präsentationen der Konzerne zeigen eine Utopie des stress- und konfliktfreien Reisens. Zumindest für die zahlungskräftige Kundschaft.[1]

Doch die Praxis bei den Testläufen im benachbarten Arizona zeigt, dass sich zumindest einige Menschen nicht auf diese Zukunft freuen: Immer wieder stellen sich Passanten den Testwagen absichtlich in den Weg. Einige attackieren die Fahrzeuge sogar mit Steinen oder Messern, wie US-Medien berichten. Ein Grund für die Aggression ist sicher, dass die Fahrzeuge samt ihrer Hersteller als Vorreiter eines gentrifizierenden Prozesses gelten, der auf der einen Seite menschliche Arbeitsplätze überflüssig macht und gleichzeitig die Preise im Westen der USA in die Höhe treibt. Mit zunehmender Verbreitung und Entwicklung der neuen Technik zeigen sich immer neue Konfliktpunkte.

Besser als der Mensch

Der größte Vorteil der neuen Technik ist wohl die gesteigerte Verkehrssicherheit. Laut der Weltgesundheitsbehörde (WHO), starben 2016 im Straßenverkehr weltweit 1,35 Millionen Menschen, Tendenz steigend.  Damit lässt der Straßenverkehr Krankheiten wie HIV und Tuberkulose hinter sich.  In der Altersgruppe zwischen 5 und 29 Jahren ist es sogar die führende Todesursache.

Die Hoffnungen auf eine Senkung dieser Zahlen durch autonome Autos ist hoch – wie im ersten Teil dieser Artikelreihe gezeigt, sind sie teilweise auch utopisch. Im Rahmen der Diskussion des Trolley-Problems sind die Erwartungen so weit gestiegen, dass von vielen angenommen wird, autonom fahrende Fahrzeuge könnten im Falle einer drohenden Kollision zwischen verschiedenen Personengruppen abwägen – tatsächlich konzentrieren sich die Konstrukteure aber darauf, Unfälle generell zu verhindern. Gleichzeitig ist nicht zu erwarten, dass autonome Fahrzeuge in absehbarer Zeit jeden Unfall vermeiden können. Wo Fahrzeuge mit ein, einer, zwei oder gar 40 Tonnen Gesamtgewicht mit über 100 Stundenkilometer bei unterschiedlichsten Wetterbedingungen mit beschränkter Sicht unterwegs sind, sind die Unwägbarkeiten zu groß, um totale Sicherheit zu gewährleisten.

Deshalb lautet die pragmatische Devise der Behörden und Industrie: Die Autopiloten müssen mindestens so gut fahren können wie Menschen, damit sie zum normalen Dienst auf der Straße zugelassen werden. Paradoxerweise bilden Menschen das größte Hindernis, dieses Ziel zu erreichen. Die Technik der autonomen Fahrzeuge basiert darauf, dass sie nicht nur die Umgebung möglichst exakt erfassen – die Geschwindigkeit zwingt sie dazu, vorauszuberechnen, wo sich einzelne Objekte in zwei oder drei Sekunden befinden werden. Würden sich alle Verkehrsteilnehmer:innen nach festgelegten Algorithmen verhalten, wäre das ein Problem simpler Mathematik. Da jedoch (zunächst) immer auch menschliche Fahrer:innen Autos navigieren werden, müssen die Algorithmen stattdessen darauf trainiert werden, Muster im Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer:innen zu erkennen. Aufgrund dieser Muster berechnen sie dann mögliche Szenarien: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Auto eine Vollbremsung macht? Kann es sein, dass ein/ Fußgänger:in vor dem Auto auf die Straße tritt? Sind die kleinen Objekte auf der Fahrbahn nur harmloses Laub oder eine Gefahr für das Auto? Dass ein Kind einem Ball hinterherläuft, ist für menschliche Fahrer:innen keine Überraschung – für den Computer ist der Ball jedoch nur ein eigenständiges Objekt.

Wo keine Menschen unterwegs sind oder die Komplexität der Umgebung wesentlich reduziert ist, können Fahrzeuge bereits autonom fahren. So sind bereits seit 2008 in Nürnberg U-Bahnen ohne Fahrer unterwegs. Im weitgehend menschenleeren australischen Hinterland fahren Minenzüge mittlerweile ohne menschliche Besatzung über Strecken von über 800 Kilometern. Auch werden autonome Busse auf Testgeländen wie dem Campus der Berliner Charité erprobt – allerdings erreichen diese fahrerlosen Fahrzeuge wenig mehr als Schrittgeschwindigkeit.

Komplizierte Zusammenarbeit

Grundsätzlicher sind die Probleme, wenn es um die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine geht. Denn bis das voll autonome Auto erreicht ist, sind die Fahrzeuge auf die Mithilfe menschlicher Fahrer angewiesen.

In bestimmten Bereichen funktioniert das Mensch-Maschine-Duo sehr gut. Wenn beispielsweise ein Algorithmus ein vorbereitendes Hautkrebs-Screening vornimmt, kann ein Mensch die Fälle weitgehend ignorieren, in denen das Programm nur ein äußerst geringes Risiko erkennt. Der Arzt spart so wertvolle Zeit, um sich auf die Überprüfung der Risikofälle zu konzentrieren. Mensch und Maschine ergänzen sich hier sehr gut: In 2016 zeigten das Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC) und die Harvard Medical School, dass die Erkennungsrate von Hautkrebs am höchsten ist, wenn Mensch und Maschine zusammenarbeiten.

Bei einer so komplexen Situation wie dem Autofahren hingegen arbeiten Mensch und Automatismus weitgehend separat. Die verarbeiteten Datenmengen sind zu groß und komplex, als dass ein Mensch hier ständig die Ergebnisse der Algorithmen korrigieren könnte. Der Computer muss ständig eine Vielzahl von verschiedenen Szenarien berechnen, bei denen jedes von den Sensoren erfasste Objekt und seine möglichen Effekte auf die Weiterfahrt berechnet wird. Die Testfahrer:innen werden jedoch mit dem größten Teil der Kalkulationen überhaupt nicht konfrontiert. Sie wissen erfahren deshalb nicht, ob ein Objekt am Straßenrand mit welcher Wahrscheinlichkeit als Fußgänger:in eingestuft wurde – sie sollen stattdessen die Fahrsituation mit den eigenen Augen und eigener Erfahrung beurteilen und nur auf die Bremse treten, wenn eine Kollision unmittelbar bevorsteht. Oder die Weiterfahrt freigeben, wenn keine Kollisionsgefahr besteht.

Doch selbst mit dieser Rolle sind viele Menschen überfordert. Es gab bereits mehrere Todesfälle, weil sich menschliche Fahrer:innen viel zu sehr auf die Fähigkeiten der Automatiksysteme verlassen haben. So kam im Frühjahr 2016 ein Tesla-Fahrer ums Leben, weil sein Auto ungebremst in einen LKW fuhr, der einen Highway kreuzte. Für einen Menschen ist es kaum vorstellbar, ein solches Hindernis zu übersehen – doch aufgrund unglücklicher Umstände verwechselten die Algorithmen das kreuzende Gefährt mit einem Verkehrsschild und der Fahrer griff bis zur Kollision nicht ein. Im April 2018 kam eine Frau in Arizona ums Leben, als sie mit ihrem Fahrrad eine Straße überqueren wollte. Ein Testwagen von Uber hatte die Frau zwar über mehrere Sekunden mit seinen Sensoren erfasst, konnte sie aber nicht eindeutig einstufen. Die Kontrollfahrerin, deren Aufgabe es gewesen wäre, den Unfall zu vermeiden, war offenbar abgelenkt.

Vertrauensaufbau im Simulator

Um der deutschen Bevölkerung die Angst vor solchen Fällen zu nehmen, wollen Industrie, Bundesregierung und Forschungseinrichtungen in einem ausgiebigen Testprogramm beweisen, dass die zugelassenen Autos hinreichend sicher sind. Bis 2019 soll das Verbundprojekt Pegasus ein Konzept für die Stufe drei des hochautomatisierten Fahrens vorlegen. Ziel ist hierbei der sogenannte „Autobahn-Chauffeur“: die Algorithmen sollen in einem verbindlichen Verfahren nachweisen, dass sie bei 120 Stundenkilometern sicher auf einer Autobahn navigieren können – ohne, dass ein/e Fahrer:in ständig aufpassen muss. Die Entwicklung der Autopiloten und Testszenarien arbeitet dabei Hand in Hand. In den Szenarien werden gezielt Schwachstellen der Algorithmen gesucht, die dann von den Herstellern gelöst werden müssen.

Statt direkt Autos in den normalen Verkehr zu schicken, wie es in Arizona getan wird, baut das Projekt zunächst auf Computer-Fahrsimulationen, in denen sich die Algorithmen bewähren müssen. Die Simulationsbedingungen sind dabei extrem genau: So werden die Autos nicht nur als Ganzes simuliert, sondern jedes einzelne Untersystem, von dem Gaspedal bis zum Antiblockiersystem, wird genau nachempfunden. Auch werden Fahrbahnen in einer hohen Detailgenauigkeit, bis hin zum Radarecho der Leitplanken, erfasst. Auch der Verkehr auf den simulierten Teststrecken wird nicht zufällig erzeugt, sondern bildet den real beobachteten Verkehr nach.

Dazu werden einerseits Bewegungsmuster auf deutschen Autobahnen zentimetergenau erfasst. Zum anderen steuert das Kooperationsprojekt German In-Depth Accident Study (GIDAS) der Bundesanstalt für Straßenwesen und der Forschungsvereinigung Automobiltechnik detailliert recherchierte reale Unfallszenarien zu. Nachdem die Algorithmen diese Tests im Simulator bewältigt haben, müssen sie sich nochmal auf Teststrecken beweisen, wo die simulierten Fahrmanöver nochmal im Detail nachgestellt werden.

Keine Entspannung am Steuer

Ein Problem kann jedoch erst im Realverkehr getestet werden: Wie reagieren die anderen Autofahrer:innen auf automatisierte Fahrzeuge? Dabei wirft gerade die sogenannte Stufe 3 des Autonomen Fahrens (siehe Artikel 1) ein komplexes Problem auf. Hier wird die Schwelle des reinen Assistenzsystems klar überschritten. Das heißt: Der/die Fahrer:in soll sein Auto sich selbst überlassen können, um beispielsweise E-Mails zu lesen oder einen Film zu schauen. Erst wenn das Auto um Unterstützung bittet, greift der/die Fahrer:in ein.

Das Problem daran: Ein/e abgelenkte/r Fahrer:in kann nicht übergangslos das Steuer übernehmen, sondern muss sich erst wieder den vollen Überblick über die Umgebung und das Fahrgeschehen verschaffen. Wie lange das dauert, wird derzeit zum Beispiel von der Universität München und der Bundesanstalt für Straßenwesen untersucht. Sicher ist bereits: Je nachdem, wie sich die Fahrer:innen beschäftigen, brauchen sie unterschiedlich lange, um wieder den Überblick über den Verkehr zu bekommen. Mit mehreren Sekunden muss aber auf alle Fälle gerechnet werden.

Das hat zur Folge: die Autos müssen einen enorm großen Sicherheitsabstand einhalten, um die zusätzlichen Sekunden Reaktionszeit auszugleichen. Das wiederum kann gerade im dichten Verkehr zu Problemen führen, weil andere Autos sich in die vermeintliche Lücke drängen – der automatische Autobahn-Chauffeur würde in vielen Situation wie dem Feierabendverkehr effektiv ausgebremst. Für welchen Kompromiss sich Behörden und Hersteller entscheiden, muss sich noch erweisen. Hilfestellung können Straßensensoren leisten, die beispielsweise frühzeitig vor Glatteis auf der Straße oder anderen Gefahrensituationen warnen, so dass der Sicherheitsabstand im Normalbetrieb reduziert werden kann.

Der Preis des autonomen Fahrens

Letztlich ist es eine Frage der Gewöhnung auf beiden Seiten. Damit teil- oder vollautonome Systeme erfolgreich eingesetzt werden können, müssen die Algorithmen lernen, wie sich Menschen auf der Straße verhalten.  Gleichzeitig müssen sich die anderen Verkehrsteilnehmer:innen auch an die automatischen Fahrzeuge gewöhnen. Zumindest ist anzunehmen, dass sich nur noch wenige ein Oberklasse-Fahrzeug kaufen werden, wenn es im Verkehr von jedem Kleinwagen und jedem Fußgänger effektiv ausgebremst wird. Der  Erfolg vollautonomer Autos ist somit auch bedingt durch die gesellschaftliche Annahme teilautonomer Autos.

Sicher ist, dass es auch in Zukunft zu Verkehrstoten kommen wird. Dabei werden Algorithmen andere Fehler machen als menschliche Fahrer:innen. Gerade in der Übergangszeit werden deshalb Unfälle nach menschlichem Ermessen unnötig erscheinen. Dies stellt uns als Gesellschaft vor ein moralisches Dilemma: Sind wir bereit, diese Art von Verkehrstoten zu akzeptieren, um langfristig die Zahl der Verkehrstoten zu reduzieren?

[1] Deutsche Hersteller sind deutlich konservativer in ihrer Produktankündigung als die US-Konzerne. So haben die Daimler AG und die BMW Group Ende Februar eine Zusammenarbeit verkündet, die breite Verfügbarkeit von SAE-Stufe 4 vor 2025 in Aussicht stellt. Ein Datum für das vollautonome Fahren für jedermann nennen die Hersteller wohlweislich nicht.

Hier geht’s zum 1. Teil der Artikelreihe


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